Christian Stamm, Hofgärtner, 1846 - 1917
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Christian Stamm, Hofgärtner, 1846 - 1917
Fast vier Jahrzehnte stand er im Dienst des ägyptischen Hofes in Kairo. 1908 kehrte er
als wohlhabender Mann nach Schleitheim zurück.
Christian Stamm wurde 15. Januar 1846 in Schleitheim geboren. Seine Eltern waren
Martin Stamm und Magdalena, geb. Meyer. Er wuchs als zweitältester von neun
Geschwistern in einfachen Verhältnissen auf. Sein Elternhaus stand im Oberdorf an
der «Donau». Es brannte 1905 ab und wurde nicht wieder aufgebaut.
Zwei Brüder und zwei Schwestern wanderten nach Amerika aus.
Nach der Elementarschule verbrachte Christian Stamm einige Jahre beim Grossvater
im Hofgut Paradies als Knechtli. Sein besonderes Interesse galt schon früh der Botanik.
1862 begann er eine Lehre bei Gärtnermeister Häusser in Zürich.
Eine erste Stelle als Gärtnerbursche führte Christian Stamm ins Toggenburg nach
Lichtensteig. Weiter Stationen waren die Touristenorte Interlaken und Luzern. In
Luzern wurden die Weichen für sein weiteres erfolgreiches Leben gestellt. Dort wurde
er vom Haushofmeister der englischen Königin Victoria engagiert, die das Hotel Gütsch
und den dazugehörigen Park für ein Jahr gemietet hatte.
In früheren Jahren strebten ausgelernte Handwerker danach, ihre Kenntnisse in einem
fremdsprachigen Land zu erweitern, so auch unser Gärtner. Sein Ziel war Paris. Die
Zeugnisse von Luzern verschafften ihm Eingang in den damals als Weltwunder
betrachteten Wintergarten, der im Rahmen der Weltausstellung 1867 in Paris erstellt
worden war und wo er als erster Gärtnergehilfe Anstellung fand. Die Fachschulen von
Paris boten ihm Gelegenheit, seine technischen Kenntnisse zu vervollkommnen. Eifrig
widmete er jede freie Stunde diesem Studium. Im Jahre 1868 kam Ismail Pascha, der
künftige Vizekönig von Ägypten, nach Paris. Er fasste sofort den Plan, in seiner
Residenzstadt einen gleichartigen Park anlegen zu lassen. Stamm wurde mit der Arbeit
betraut, 1869 reiste er nach Kairo, und unter seiner Leitung entstand der für lange Zeit
als Muster gärtnerischer Anlagen geltende Garten von Ezbekieh. Heute mitten in Kairo
gelegen, von Strassen umgeben und durchkreuzt, galt er einstmals als die grüne Lunge
der Stadt.
Stamm wurde zum ägyptischen Staatsbeamten ernannt, ihm unterstand die Aufsicht
über die königlichen Gewächshäuser und Parkanlagen, die staatliche
landwirtschaftliche Schule beanspruchte seine reichen Kenntnisse und Erfahrungen,
um neue Kulturarten zu erproben und einzuführen und so finden wir ihn schon nach
wenigen Jahren im Besitz des Titels eines Professors an der «Ecole d'agricultur». Als
solcher wurde ihm der Auftrag zuteil, für den Khediven eine Fläche von etwa 1000
Hektaren Land mit Baumwolle zu bepflanzen. Prinz Hussein übertrug ihm die Aufsicht
seiner Orangerie.
Als der Schweizer Werner Munzinger Pascha aus Olten, Afrikareisender, zum
Gouverneur in Abessinien ernannt wurde, war Christian Stamm sein Begleiter und
Berater.
Auch das Landwirtschaftsministerium von Siam (heute Thailand) beanspruchte seine
Dienste zu kolonisatorischen Arbeiten, und dass diese zur Zufriedenheit der Regierung
ausgefallen sind, davon gibt die nachstehende, durch Reallehrer Wanner ins Deutsche
übersetzte Urkunde, begleitet mit einem goldenen Orden, beredtes Zeugnis.
Somdetsch Phra Patamindr Maha Chulankorn, Phra Chula Chom klao, König von Siam,
sowohl des Nordens, wie des Südens, und aller seiner Untertanenländer ….. Laos,
Malays, Koereans, Herr und Grossmeister des höchst erhabenen Ordens der Krone von
Siam
Allen und insbesondere denen, die dieses zu Gesichte bekommen werden, Sei kund
und zu wissen dass Wir geruht haben, zu ernennen und einzusetzen Christian Stamm,
Gärtner zum Mitglied V.Klasse, genannt Vichitrabhorn, oder Ritter unseres höchst
erhabenen Ordens der Krone von Siam eine Ehre, welche er fortan und in Zukunft
beibehalten und geniessen soll. Möge ihm jene Macht, welche die höchste ist im
Weltall, Glück und allerlei Segen spenden und nie von ihm weichen lassen.
Geschrieben am 13ten Tag des Novembers 1897, dem 10 595ten Tag unserer Regierung.
Sig. Chulalonkorn R. S
Von Siam zurückgekehrt, übernahm er die Verwaltung der 178 916 Hektaren
umfassenden Staatsdomäne «Schubra». Das vom k.k.österreichischen Hofbeamten
Maximilian Truchsess herausgegebene Werk «9sagt über die Tätigkeit Stamms als
Verwalter der «Schubra» folgendes:
Ihm sind auch die Versuchsfelder anvertraut, auf denen die Pflanzungen in Kultur
stehen, welche die neugegründete, rührige «Société égitienne d'agriculture» (Präsident
ist Haidar Pascha) durch Verteilung von Samen gegen Beobachtung rationeller
Behandlung und halben Ertrag in Aufnahme zu bringen sucht. Zwei vielversprechende
Textilpflanzen: Rameh (Chinagras) und Jute; drei Futtergewächse: die Angola-Erbse von
der Insel Sankt Maurice; die indische Kartoffel (impomea patata) mit 500 Meterzentner
Grünfutter in drei Schnitten und überdies 300 Meterzentner Knollen; die
perennierende (mehrjährige), stickstoffreiche Reana luxurians (im französisch
sprechenden Ägypten Téosinthe genannt) aus Guatemala stammend, wurde von ihm
kultiviert.
Auf Veranlassung von Prinz Hussein, mit dem ihn eine innige Freundschaft verband,
kaufte Stamm im Jahre 1905 einen Streifen Land am Nil, Sumpf- und Schwemmgebiet.
Das vorher unproduktive Land erfuhr durch den bewährten Organisator eine totale
Umwandlung. Mit einer Feldbahn wurden die alten Nilsümpfe ausgefüllt,
Unebenheiten ausgeglichen, Bewässerungsanlagen geschaffen. Aus dem
unproduktiven Gebiet wurde ein Garten, ein Kulturgebiet von ausserordentlicher
Fruchtbarkeit. Bald darauf musste ein Teil des Landes für den Bau der Nilbahn
zurückgekauft werden, Christian Stamm wurde ein reicher Mann.
Die Schweizerkolonie hatte in Stamm eine starke Stütze. Manch junger Schweizer
verdankte ihm sein Fortkommen in Ägypten.
Auszug aus dem Buch: Cent ans de vie suisse au Caire
...Übrigens war es Christian Stamm, der zusammen mit dem Architekten Brügger den
nötigen Fonds für den Bau eines Chalet und einer Kegelbahn zusammenbrachte, die
auf dem von der Regierung grosszügig zur Verfügung gestellten Grundstück errichtet
wurden. Es wurde die Wiege des «Schweizer Zirkels». Eine kunstvolle, gefällige Anlage
aus Stämmen junger Palmen wurde in Form von Halb-Rondellen darauf errichtet. Das
Ganze war zugleich sowohl sehr solide als auch malerisch, so dass diese Arbeit von
Stamm und Brügger im Rahmen des Möglichen erhalten blieb, trotz Vergrösserungen
und Änderungen.
Christian Stamm hatte sein Heimatdorf nicht vergessen. In den 1890-er Jahren sandte
er in einer versiegelten Kiste eine ägyptische Kinder-Mumie nach Schleitheim,
bestimmt für die Realschule als Anschauungsobjekt. 1904 kam eine weitere Sendung
mit einem 2,5 m langen, ausgestopften Nil-Krokodil sowie eine grössere Anzahl von
kunstvollen arabischen Ornamenten aus einer alten Moschee. Das Krokodil und die
kleine Mumie in ihrem Sarg sind noch vorhanden, während die Ornamente verloren
gingen. Dem 1909 gegründeten Jugendsport schenkte Stamm grosszügigerweise 65
Rucksäcke und Reisegeschirr.
1908 beschloss Christian Stamm nach Schleitheim zurückzukehren. Er verbrachte
einige Tage in Port Said um auf sein Schiff zu warten. Als er ein Bad im Meer nahm, fiel
ihn ein Hai (der wohl nicht so gross war) an und biss ihn in die Hand. Stamm versetzte
ihm einen kräftigen Schlag auf die Nase, sodass der Angreifer seine Beute loslassen
musste. Die Hand war in einem erbärmlichen Zustand und so begab er sich zu einem
Arzt in Zürich, dem er in «Schwyzerdütsch» erklärte, ein Hai habe ihn während des
Badens gebissen. Der Arzt, schlechten Witzen wenig zugetan, sah Stamm missbilligend
an und sagte streng: «Redet kei dumms Züg, es git kei Hai im Zürisee!»
Schon bevor Christian Stamm festen Wohnsitz in Schleitheim nahm, hatte er mit
Widerwärtigkeiten zu kämpfen. Beim Landkauf für die Obstanlage wurde eine Servitut
mit einem Entwässerungsgraben aus dem Eisweiher von Bierbrauer Christian Stamm,
im sog. Eggwisli, nicht beachtet, was 1907 zu einem Prozess führte, der als
«Wasserprozess» bekannt wurde.
Kaum waren die beiden Bauten - die Villa Aïda und das Gärtnerhaus beim Rank in
Oberwiesen 1907 erstellt, folgte ein weiterer Prozess mit Baumeister Heinrich Stamm,
der nach langwierigen Verhandlungen erst 1910 entschieden wurde.
Missgunst und Neid setzten dem initiativen «Ägypter» zu. 1909 wurden an über 1000
Obstbäumen - meist seltene Sorten - die unteren Leitäste weggeschnitten. Weitere
Schikanen folgten.Trotz dieser Widerwärtigkeiten behielt Christian Stamm seinen
Humor und seinen Optimismus.
Christian Stamms erste Frau starb 1896 in Kairo. Aus der Ehe stammen zwei Söhne. Im
März 1911 heirate er Bertha Sennhauser von St. Gallen.
Wirtschaftlich wagte er einen mutigen Schritt. Von Nationalrat Samuel Wanner kaufte
er die «Wutachwerke» - das gesamte Industrie- und Gewerbegelände in Oberwiesen
zur Erhaltung und Neubelebung der Industrie. Seine Pläne erfüllten sich nur teilweise.
Er verstarb am 5. September 1917 in Schleitheim-Oberwiesen.
Gütsch, Luzern Interlaken
Oben: Wintergarten Paris
Rechts Ismail Pascha
Garten von Ezbekieh
Es gilt als sicher, dass dank Christian
Stamm die ersten Mangobäume in
Ägypten gepflanzt worden sind.
Palast und Garten von Prinz Hussein
Schweizer-Zirkel / Cercle Suisse
Edelobstplantage in Oberwiesen
Kinder-Mumie
Villa Aïda - heute Gemeindeverwaltung